Juli 2003

Von Pfeil, Bogen und einer wilden Sau

Der Bogen und Burgenbauer Rolf Tilly hat sein Hobby zum Beruf gemacht

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Wo andernorts in Stein gehauene barbusige Damen den heimischen Garten zieren, sieht sich der Besucher in Erbach am Wiesenweg bei Rolf Tilly auf dem Grün hinterm Haus unvermittelt einer fast lebensgroßen Wildsau aus Styropur gegenüber. Dieser sollte man trotzdem tunlichst nicht zu nahe kommen, die Gefahr geht allerdings weniger von der Sau, sondern mehr von deren Besitzer aus. Rolf Tilly ist Bogenbauer und nutzt dieses wilde Schwein als Zielscheibe zum testen der fertigen Bögen.

In seiner "Einmannwerkstatt" braucht sich Rolf Tilly nur umzudrehen und hat praktisch in Reichweite alle benötigten Gerätschaften griffbereit - hier bearbeitet er den Pfeilschaft

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Wie kommt man als Krankenpfleger zum Bogenbau? Angefangen hat alles im Alter von 16 Jahren, als Tilly Mitglied eines Indianistik-Vereins wurde. Das Lagerleben bereitete ihm Spaß und bald versuchte er sich an den ersten Bögen Marke Eigenbau. Der Perfektionist probierte immer wieder neue Hölzer, verfeinerte hier und korrigierte da. Bald wurden auch andere Lagerbewohner auf seine handwerklichen Fähigkeiten aufmerksam und er bekam die ersten Aufträge. Vor einigen Jahren lernte er seine jetzige Lebensgefährtin Silvia Seidel kennen, die sich auch dem Lagerleben, allerdings dem mittelalterlichen, verschrieben hatte und so verschlug es den Hobby-Indianer aus Liebe in die Zeit der Ritter und Edelleute. Im Prinzip habe sich dabei auch nicht viel verändert, so erzählt Tilly, man lebt weiterhin in Zelten, kocht auf offenem Feuer und kleidet sich in historische Gewänder... und Bogen braucht es da wie dort.

Viel Feinarbeit ist gefragt, nicht nur bei bei der Pfeilbearbeitung

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Zu den Reichelsheimer Sagen- und Märchentagen versuchte sich das Paar 1999 erstmals als Veranstalter eines kleinen Mittelalter-Markts. Der Start war gleich ein voller Erfolg und weitere Veranstaltungen folgten, zuletzt auf dem Keilvelter Hof in Unter-Ostern im Mai diesen Jahres. Mittlerweile stieg auch die Nachfrage an Feldbogen und Pfeilen so sehr, dass sich Rolf Tilly entschloss, sein Hobby zum Beruf zu machen.

Nun werkelt er in jeder freien Minute in seiner "Einmannwerkstatt" an seinen Bogen, die nach historischen Bildvorlagen oder Handschriften gebaut werden. Sie sind nicht nur schmückendes Beiwerk der "Gewandeten", sondern dienen auch als Wettkampfgerät bei Turnieren. Vom traditionellen Feldbogen über Jagdbogen bis hin zum englischen Langbogen reicht die Palette des Angebots. Zur Verwendung kommen Haselnuss, Esche, Eibe, Wacholder, Schwarzdorn, Obstbaum- oder Rattanholz. Feinarbeit ist allemal gefragt, denn nicht jedes äußerlich fehlerfreie Holz birgt auch innerlich die benötigten Qualitäten. Daher kann es ab und an passieren, dass ein fertiger Bogen beim Bespannen bricht "das ist dann ein ganz trauriger Moment, denn da stecken viele Arbeitsstunden drin" erzählt Rolf Tilly und zeigt solch ein geborstenes Exemplar.

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Seine Gerätschaften hat sich Rolf Tilly so umgebaut, dass sie für seine Zwecke optimal funktionieren - alles Marke Eigenbau

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Auch die Pfeile werden selbst bearbeitet, die Schaftrohlinge bekommt er geliefert. Dennoch bleibt auch hier noch viel zu tun. Schleifen, Spitzen aufleimen, die Nut für die Sehne einschneiden und die Befiederung mit Naturfedern. Die Kinderpfeile bekommen zusätzlich noch einen Korken auf die Spitze festgeleimt, damit beim Üben nichts passieren kann.

Arbeit also in Hülle und Fülle, und da die kleine Werkstatt im Garten schon übervoll mit Holz und Geräten ist, muss ab und an auch die gute Stube herhalten, die Nachfrage ist groß. Auch Lebensgefährtin Silvia muss manchmal mithelfen, besonders die aufwendigen feinen Schleifarbeiten gibt Rolf da gerne mal an sie weiter. Doch in der Hauptsache ist Silvia für Organisation und Bekleidung zuständig, wie im richtigen Leben eben.

Und weil in der Werkstatt kein Platz mehr ist, muss die gute Stube ab und an auch mal herhalten. "Dabei kann ich wenigstens auch mal in den Fernseher schauen", meint Rolf Tilly schmunzelnd. Hier werden die Pfeile befiedert, natürlich nur mit Naturfedern. So ein Pfeil kann eine Geschwindigkeit von bis zu 120 Stundenkilometern erreichen. Gefärbt werden die Federn nach Kundenwunsch, oder in historischen Farben

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In den vorweihnachtlichen Monaten hat sich Rolf Tilly noch dem Burgenbau verschrieben. Aus Kiefern- oder Buchenholz entstehen unter seinen Händen große Kinderburgen, in denen sich auch gut herumkrabbeln lässt. Der Grundbau ist so gestaltet, dass er jederzeit erweitert werden kann. Die Ideen dafür bekommt der Baumeister oft von seinen kleinen Kunden selbst, wie beispielsweise die eines Kerkers, der ja in keiner Burg fehlen darf.

Die Familie bietet oder vermittelt noch Bogenschieß- und Schaukampfkurse, eine kleine Nähstube gibt es, und Hochzeiten oder andere Feierlichkeiten gestalten sie mit mittelalterlicher Dekoration. Das einst hobbymäßige Lagerleben ist mittlerweile zum Fulltime-Job geworden. Plaudert man mit den beiden, vergeht die Zeit wie im Flug und unversehens fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit der Edelleute, der Ritter und Gaukler oder der Minnesänger. Nur, so friedlich wie sich das heutige Mittelalter-Lagerleben gestaltet, ist es damals sicher nicht hergegangen, und Wildsau-Attrappen dürften da wohl für die Bogenschützen als Zielscheibe auch eher die Ausnahme gewesen sein.

Der fertige Bogen wird nochmal auf Herz und Nieren geprüft und die Zugstärke gemessen, denn jeder Bogen muss auch für den Benutzer die richtige Stärke haben. Um Kinderbögen beispielsweise zu spannen, wird natürlich weniger Kraftaufwand benötigt wie für einen Erwachsenen-Bogen

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Wer noch mehr über Rolf Tilly und seinen Beruf erfahren möchte, der kann auch im Internet nachschauen unter www.rolftilly.claranet.de. Telefonisch ist die Familie unter 06062 912189 erreichbar, e-mail rolftilly@claranet.de.

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